Ukraine-Krieg: Tochter von Alexander Dugin in Russland getötet (2024)

Bei der Explosion eines Sprengsatzes an ihrem Auto ist in Moskau eine Verfechterin des Ukraine-Krieges, die Tochter des imperialistischen Ideologen Alexander Dugin, ums Leben gekommen. Das ist Anlass für viele Spekulationen und verschärft die Spannungen in Russland.

Markus Ackeret, Moskau

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Daria Dugina fuhr am späteren Samstagabend auf einer der westlichen Moskauer Ausfallstrassen zurück in die Stadt, als ihr Auto explodierte und ausbrannte. Rettungskräfte fanden die verkohlte Leiche der 29-jährigen Frau darin. Nach ersten Ermittlungsergebnissen detonierte ein auf der Fahrerseite am Unterboden des Geländewagens angebrachter Sprengsatz.

Dugina ist kein unbekanntes Opfer. Die Philosophin und Publizistin war die Tochter des nationalpatriotischen, ultrakonservativen ideologischen Aushängeschilds Alexander Dugin, dessen rechte Hand und Gleichgesinnte. Unter dem Namen Platonowa war sie selbst auf Telegram und bei propagandistischen, rechtsnationalen Medien als Kommentatorin aktiv und hatte in den vergangenen Monaten mit zuweilen monströsen Äusserungen das Existenzrecht der Ukraine infrage gestellt. Der Wagen, den sie lenkte, gehörte ihrem Vater. Er hatte offenbar vom gemeinsam besuchten Festival «Tradizija» ausserhalb Moskaus damit zurückfahren wollen, aber sich dann kurzfristig umbesonnen.

Alexander Dugin als Ziel?

So lässt sich annehmen, dass der Mordanschlag eigentlich Dugin gegolten hatte, einem Mann, der im Westen als «Putins Einflüsterer» überhöht wird, aber ohne Zweifel ein besonders wahrnehmbarer Ideologe des eurasischen Imperialismus, der vom Kreml verfochtenen Vorstellung von Russland als Zentrum einer einzigartigen eurasischen Zivilisation und der daraus folgenden Rechtfertigung von Gewalt und Expansion, ist.

Ukraine-Krieg: Tochter von Alexander Dugin in Russland getötet (2)

Das Attentat in einer Gegend am Rande der Hauptstadt, die von den Wohnsitzen höchster Funktionäre nicht weit entfernt ist, richtete sich gegen die geistigen Brandstifter des russischen Angriffs auf die Ukraine. Er zerstört aber – wie die jüngsten Explosionen auf der von Russland besetzten Halbinsel Krim – auch das Gefühl unter Russen, der Krieg sei fern und gehe sie überhaupt nichts an.

Anschläge dieser Art wirken wie ein Bumerang der Verheerung, die Russland über die Ukraine bringt. Sie wecken die Erinnerung an kriminelle Auseinandersetzungen der neunziger Jahre, an Explosionen im Umfeld der Tschetschenienkriege und damit an eine Zeit, die Präsident Putin und seinen Anhängern bis heute als Gegenbild zur dank ihm erreichten «Stabilität» dient.

Fingerzeig nach Kiew

Gross war in den Telegram-Kanälen staatstreuer Medien, von Propagandisten und rechtsnationalen Politikern das Entsetzen über die Tat. Auch besonnenere Stimmen unter diesen zeigten sofort mit dem Finger auf den ukrainischen Geheimdienst als Urheber des Anschlags. Für sie ist das der Beweis für die Gefahr, die von der Ukraine ausgeht.

Die Chefredaktorin des Auslandsenders RT, Margarita Simonjan, forderte, wie andere auch, eine Vergeltung auf die «Zentren der Entscheidfindung» in Kiew. Ihre Reaktion auf schadenfreudige Stimmen aus Kreisen der russischen Regimegegner verleiht der Befürchtung Ausdruck, das Ereignis könnte als Vorwand für eine verstärkte Hetzjagd auf Andersdenkende genutzt werden. Simonjan schrieb, es sei Zeit, «den Abfall zu entsorgen», und rief zur Festnahme von Oppositionellen auf.

Wer immer hinter dem Anschlag steckt: Dieser verweist auf wunde Stellen. Hätte die ukrainische Seite damit etwas zu tun, was sie vehement bestreitet, stellte es die russischen Sicherheitsbehörden in ein sehr schlechtes Licht. Abrechnungen innerhalb der Elite oder zwischen Gruppen, die über den Kurs des Kremls gegenüber der Ukraine uneinig sind und diesen zu einer härteren Politik drängen wollen, legten die Spannungen offen, die es auch unter Befürwortern von Russlands Aggression gegenüber dem Nachbarland gibt. Die Politologin Tatjana Stanowaja misst dem Ereignis deshalb einige Bedeutung zu.

Keine Schlüsselfiguren

Weder Dugin noch erst recht seine Tochter sind Schlüsselfiguren des Krieges und des Regimes. Aber die Art und Weise der Reaktionen von Propagandisten und Politikern wirft ein grelles Licht darauf, wie sehr die antiwestlichen Ideen zum Mainstream der russischen Politik geworden sind. Dugins eigenes ideologisches Konstrukt, den Neo-Eurasianismus, sein apokalyptisches, imperialistisches und auf der beständigen Konfrontation des kontinentalen Eurasien mit dem atlantischen Westen ausgerichtetes Denken, bezeichnete Anton Schechowzow, ein auf russische rechtsextreme Ideologie spezialisierter Experte, kürzlich als allzu exotisch für den Hausgebrauch des Kremls.

Deshalb hält er auch nichts davon, Dugin zum «Gehirn Putins», zu seinem «Meister-Ideologen», zu erklären, wie das in vielen westlichen Medien gerne gemacht wird. Das antiwestliche Denken Putins, seine Vorstellungen von der Rückkehr Russlands in seine imperialen Grenzen und damit von der Inexistenz eines eigenständigen ukrainischen und weissrussischen Staates, mag unter anderem davon inspiriert sein, ist aber weit verbreitet. Dugins Aussage von 2014 über die Ukrainer – «Töten, töten, töten» – ist die radikalste Form davon.

Dugin gefällt sich aber gewiss in der Rolle des mystischen Vordenkers. Aus Sicht Schechowzows ist er mehr Netzwerker als Ideologe: Zusammen mit dem Skandalschriftsteller und politischen Provokateur Eduard Limonow einst Mitbegründer der Nationalbolschewistischen Partei, später der Eurasischen Bewegung, ist er eine Art ideologischer Vermittler zwischen Europas neurechter, neofaschistischer Szene und russischem ultrakonservativem, nationalistischem Denken.

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Markus Ackeret, Moskau

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